Kreislaufwirtschaft
Im Projekt »EcoPass3D« zeigt das Fraunhofer IAO gemeinsam mit Partnern, wie sich in der Automobilindustrie mithilfe von Daten nachhaltige Produkte, effizientes Recycling und innovative Geschäftsmodelle entwickeln lassen.
Was bleibt von einem Auto, wenn es ausgedient hat? Im Idealfall landet es bei einem zertifizierten Demontagebetrieb, wo es fachgerecht entleert und zerlegt wird: Bauteile werden ausgebaut und sortiert, der Rest wandert in den Schredder. Aus dem Metallmix lassen sich dann Rohstoffe wie Stahl, Kupfer oder Aluminium zurückgewinnen.
Das ist zumindest so vorgeschrieben. Tatsächlich läuft es anders: Nur rund 20 Prozent der in Europa gebauten Fahrzeuge werden auch hier recycelt. Der Großteil gelangt über Umwege ins Ausland, etwa nach Westafrika oder Asien, und wird dort oft unter prekären Bedingungen zerlegt – ohne Schutz, ohne Auflagen. Die Folge: Schadstoffe gelangen in die Umwelt, wertvolle Rohstoffe gehen verloren.
Neu ist das Problem nicht. In Zeiten knapper Ressourcen, fragiler Lieferketten und geopolitischer Spannungen gewinnt es aber an Dringlichkeit. Die EU will daher gegensteuern – mit dem »Green Deal«, einem Aktionsplan für Kreislaufwirtschaft, neuen Regularien. Ein zentrales Instrument zur Förderung der Kreislaufwirtschaft ist hierbei der Digitale Produktpass (DPP). Er soll umfassende und laufend aktualisierte Informationen zu Materialien, Herkunft, CO2-Bilanz und Demontage digital bereitstellen und wird bereits 2027 verpflichtend eingeführt, zunächst für Batterien.
Dieser politische Vorstoß, so sinnvoll er sein mag, sorgt in Unternehmen für Unmut. Viele sehen den Digitalen Produktpass als weitere bürokratische Hürde, verbunden mit Mehraufwand, hohen Kosten, zusätzlichem Personal. Das ist verständlich. Die Umsetzung stellt vor allem kleine und mittlere Betriebe vor große Herausforderungen. Denn viele Fragen sind noch offen: Welche Daten werden gebraucht? In welcher Detailtiefe? Wer haftet bei Fehlern? Lassen sich Geschäftsgeheimnisse wahren? Es fehlen auch einheitliche Standards und Tools. Umso nötiger sind praktikable Lösungen.
Aus dieser Situation heraus und mit dem Wunsch, den Blick auf Chancen zu richten, entstand die Idee für das Projekt »EcoPass3D«. »Wir wollten einen Ansatz finden, um den DPP nicht nur technisch umsetzen zu können, sondern auch wirtschaftlich nutzbar zu machen«, sagt Andreas Werner, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IAO und Projektleiter von »EcoPass3D«. Wenn ohnehin Daten geliefert werden müssen – warum nutzt man sie nicht für Verbesserungen und mögliche Wettbewerbsvorteile?
Um dieser Frage nachzugehen und neue Perspektiven für produzierende Unternehmen zu erschließen, gründete das Fraunhofer IAO im September 2023 ein interdisziplinäres Konsortium mit sieben Industrie- und Forschungspartnern. Mit dabei waren die auf technische Simulation und virtuelle Produktentwicklung spezialisierte Ingenieursgesellschaft TECOSIM GmbH aus Wiesbaden sowie Wittenstein SE, ein mittelständischer Hersteller von Planetengetrieben und elektromechanischen Antriebssystemen aus Igersheim. Gefördert wurde das Projekt vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg.
Eine Ausgangsfrage war unter anderem: Warum landen ausrangierte Fahrzeuge überhaupt im Ausland? Weil die fachgerechte Zerlegung in Deutschland noch immer manuell erfolgt – das ist aufwendig, teuer und unrentabel. Damit sie hierzulande im Kreislauf bleiben, müsste die Demontage automatisiert werden. Das ist jedoch ein komplexes Vorhaben, an dem viele Akteure beteiligt sind: Zulieferer, Anlagenbauer, IT-Dienstleister, Autoverwerter. Eine automatisierte Verwertung, das wurde schnell klar, bräuchte ein ganzes Wertschöpfungsnetzwerk – ein industrielles Ökosystem, ähnlich wie beim Bau eines Autos. Die Daten dafür wären da: Man weiß, wo was verbaut ist und wie man es herausbekäme. Theoretisch. In der Praxis ist es aber so, dass viele Bauteile verklebt oder verschweißt sind – und sich nicht mehr auseinandernehmen lassen. »Genau hier müsste man ansetzen und die End-of-Life-Phase von Anfang an mitdenken«, sagt Dr. Robert Dannecker, Technical Manager bei TECOSIM.
Die Politik hat das inzwischen erkannt: Im Juni 2025 einigten sich die EU-Mitgliedsstaaten auf eine überarbeitete Altfahrzeugverordnung, in der neben verbindlichen Recyclingquoten genau das vorgeschrieben ist. »Kreislaufwirtschaft würde besser funktionieren, wenn man bereits bei der virtuellen Produktentwicklung Nachhaltigkeitswerte und das Recycling mit berücksichtigen würde«, sagt Dannecker.
Eine zentrale Erkenntnis war, dass für zirkuläre Geschäftsmodelle eine integrativere Zusammenarbeit über den gesamten Lebenszyklus hinweg notwendig ist.«
Andreas Werner, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Team »Digital Engineering« am Fraunhofer IAO, technischer Projektleiter des Projekts »EcoPass3D«
Um Roboter gezielt für die automatisierte Demontage ansteuern zu können, ist eines unverzichtbar: der Digitale Zwilling, ein virtuelles Modell des Produkts, das alle relevanten Daten von der Entwicklung bis zum Lebensende enthält. Es erfüllt zwei Funktionen: Einmal lassen sich mit ihm verschiedene Handlungsoptionen vorab simulieren, um die optimale Herangehensweise zu ermitteln. Das hilft dabei, Produkte und Prozesse zu verbessern. Außerdem sorgt er für Datendurchgängigkeit. Damit ist gemeint, dass alle Beteiligten stets auf aktuelle, verlässliche Daten zugreifen können. Nur dann lassen sich präzise Anweisungen für Roboter ableiten, wie und mit welchem Ziel ein Produkt zerlegt werden soll. Dieses richtet sich nach der R-Strategie – etwa Recycling, Reparatur, Wiederverwendung oder Weiterverwendung. Jede davon erfordert ein anderes Vorgehen.
Drei Anwendungsfälle im Projekt sollten veranschaulichen, wie Kreislaufwirtschaft in der Praxis aussieht: Bei »EcoFootprint« standen der Energieverbrauch und die CO2-Bilanz eines elektronischen Antriebssystems über den gesamten Lebenszyklus im Fokus, bei »EcoCommissioning« wurde der Energieverbrauch einer Maschine simuliert, um Einsparpotenziale zu erkennen, und bei »EcoDisassembly« ging es darum, zu analysieren, wie Autos zerlegt werden müssen, um einzelne Bauteile leichter wiederverwerten zu können.
»Anfangs haben wir die Anwendungsfälle getrennt betrachtet, aber schnell erkannt, wie eng sie zusammenhängen«, sagt Werner. Im Projekt zeigte sich: Der Digitale Produktpass hat mehr Potenzial als angenommen. Im Fokus steht nicht mehr nur der Verkauf, sondern der gesamte Lebenszyklus. Daraus können neue Einnahmequellen, Dienstleistungen und nachhaltige Geschäftsmodelle entstehen.
Die Datentransparenz ermöglicht es Herstellern, noch individueller auf Kunden einzugehen. Schon beim Einkauf hätte dies Vorteile. Wer sein Produkt im Webshop digital konfiguriert, kann auf Basis der vorliegenden Daten bewusst umweltverträgliche Komponenten wählen. Hersteller könnten den Prozess begleiten und Bauteile empfehlen, die vielleicht teurer sind, etwa grüner Stahl, aber eine bessere CO2-Bilanz haben – und darüber die Nachhaltigkeit seines eigenen Produkts mitbestimmen.
Doch es geht darüber hinaus. »Bei Investitionsgütern ist auch die Effizienz im Betrieb und damit verbundene Verlustleistung ein relevanter Faktor. Bezieht man sie in der Produktauswahl mit ein, lassen sich bessere Entscheidungen treffen.« Ein Beispiel: »Bei einem elektrischen Antrieb entfallen 90 Prozent des CO2-Footprints auf dessen Nutzungsphase«, erklärt Bernd Vojanec, Senior Experte für den Digitalen Zwilling bei Wittenstein. »Nur zehn Prozent können wir etwa durch Materialauswahl, Fertigungsverfahren oder Demontagemöglichkeiten als Hersteller beeinflussen.« Mit dem Digitalen Zwilling können Kunden und Hersteller das individuelle Einsatzszenario vorab durchsimulieren und so die optimale wirtschaftliche, aber auch nachhaltige Lösung finden.
Aktuell wissen Hersteller kaum etwas über die Nutzung ihrer Produkte, nachdem sie ihr Werk verlassen haben. Mit solchen Prognosen wären sie aber in der Lage, Einblick zu bekommen, Kunden gezielter zu beraten und ihre eigenen Produkte zu optimieren. Im Servicefall ließe sich besser abwägen, ob sich eine Reparatur noch lohnt, bei Rückrufaktionen wird digital erfasst, was getauscht wurde. Oder es stellt sich heraus, dass das Produkt länger betrieben werden kann – auch das wird vermerkt.
Das Bestechende an »EcoPass3D« ist, dass es nicht nur für große Unternehmen interessant ist. »Unsere Lösung ist skalierbar und lässt sich flexibel anpassen«, sagt Projektleiter Werner. Ein mittelständischer Betrieb könnte zum Beispiel eine kleine Demontagezelle in die eigene Produktion integrieren und vom reinen Hersteller zum Hersteller und Verwerter werden. Das Prinzip ist auch auf andere Branchen übertragbar.
Um die Chancen des Digitalen Produktpasses zu nutzen, braucht es aber mehr als die Technik. Es braucht ein neues Verständnis für Daten – und einen gemeinsamen Plan. Ein interdisziplinäres Team kann gemeinsam klären, was schon vorhanden ist, was fehlt und welche Schritte folgen müssten. Je früher das beginnt, desto besser. Einen ersten Überblick bietet ein eintägiger Workshop des Fraunhofer IAO – mit praktischem Input, Erfahrungsaustausch und Raum für Fragen. So werden die nächsten Schritte greifbarer. Denn irgendwo muss man anfangen.