Zwischen Aufbruch und Auftrag

Neue Organisationsmodelle

© Aristidis Schnelzer Im Bereich Innovations arbeiten Mitarbeitende der Bundesdruckerei in flexiblen Zellen eigenverantwortlich zusammen – für kreative Lösungen und die effiziente Umsetzung sicherheitsrelevanter Technologien.

Innovativ sein und zugleich effizient arbeiten – mit dieser Doppelrolle tun sich viele Unternehmen schwer. Der Bereich »Innovations« der Bundesdruckerei meistert diese Aufgabe: Sie entwickelt neue Sicherheitstechnologien und erfüllt gleichzeitig konkrete Aufträge. Möglich wird dieses beidhändige Agieren – kreativ auf der einen Seite, präzise auf der anderen – durch eine neue Struktur.

Der Club der Beidhändigen verbirgt sich hinter drei Meter hohen Mauern mit Stacheldraht. Zu ihm führt ein Labyrinth verworrener Gänge, bis sich schließlich eine schwere Tür öffnet und den Duft von Lebkuchen freigibt – hier, Anfang September, im Bereich Innovations der Bundesdruckerei in Berlin. »Die sind jetzt noch frisch«, sagt ein Mitarbeiter und nimmt sich zwei Plätzchen aus einem Teller für alle. Daneben ein handgeschriebener Zettel: »Noch 112 Tage bis Weihnachten«. Man scheint es hier genau zu nehmen.

Bei der Bundesdruckerei denkt man an Pässe und Geld. Doch längst hat sich das staatseigene Unternehmen zu einem Technologiemagneten entwickelt: Sein Innovationen-Bereich soll relevante Trends aufspüren und zu Prototypen weiterentwickeln. Er berichtet direkt an die Geschäftsführung. Die 65 Mitarbeitenden sind Expertinnen und Experten für KI, Quanten und digitale Identitäten. Im Auftrag von Behörden tüfteln sie an fälschungssicheren Dokumenten und an spionagefeindlichen Datenwegen. Sie bilden die technische Herzkammer innovativer Sicherheitsentwicklung für den Staat. »Manche sagen, wir seien die Spinner im Unternehmen«, sagt Felix Nadolni bei der Begrüßung. Der Senior Innovation Developer führt entlang von Vierertischen hin zur Mitte des Raums. »Aber wir müssen auch spinnen.«

Einerseits sollen die Leute kreativ und innovativ agieren, andererseits aber haben sie effizient zu arbeiten und Projekterwartungen aus den Ministerien zu erfüllen. Diesen Spagat vollzieht der Hub seit 2023 mit Begleitung des Fraunhofer IAO. Denn man benötigte wissenschaftliche Expertise: Vor drei Jahren hatte der damals zehn Jahre alte eigene Bereich in der Bundesdruckerei noch aus rund zwei Dutzend Verschworenen bestanden, die ihre Arbeitsorganisation am Mittagstisch besprechen konnten. Doch dann trudelten große Projektaufträge des Bundes ein, seine Sicherheitsarchitektur benötigte ein paar Updates, und die Abteilung wuchs rasant; eine Herausforderung für Transparenz und Zusammengehörigkeit. Diese Transformation bedurfte also einer neuen Struktur und einer Antwort auf die Frage: Wie sieht eine starke Innovationsstruktur aus? Gemeinsam mit dem Fraunhofer IAO wird sie gerade in diesen Fluren strategisch entwickelt.

Auf dem Weg zum Schreibtisch passiert Nadolni rechts ein Labor. Drinnen beugen sich zwei Mitarbeiter über eine schwarze Schachtel, ein 3D-Drucker hat den Behälter über Nacht kreiert. Was das ist, dürfen sie nicht verraten. Es bleibt – für den Leser – eine Blackbox. An einer Glasvitrine trifft Nadolni auf seinen Kollegen Jörg Fischer und Jana Oczko-Kropp vom Forschungsbereich »Organisationsentwicklung und Arbeitsgestaltung« des Fraunhofer IAO, beide besprechen kommende Meetings. In der Vitrine: ein paar Versuchspässe, die es nicht zur Massenproduktion schafften – einer zeigt zum Beispiel ein kleines Display, ein anderer ist per Fingerabdruck gesichert. »Wir versuchten, viel Elektronik zur Unterstützung der Nutzbarkeit und Sicherheit in Pässe und Karten zu bekommen«, erklärt Jörg Fischer. Mit den beiden Prototypen seien sie ihrer Zeit voraus gewesen. »Das war damals zu teuer.« – »Scheitern gehört zu unserem Beruf, daraus kann man auch innovative Energie schöpfen«, fügt Nadolni hinzu. Genau dies, ergänzt Oczko-Kropp, ermögliche das neu entwickelte Organisationsmodell.

Felix Nadolni, Senior Innovation Developer bei der Bundesdruckerei., steht vor einer Wand in einem modernen Büro.
© Aristidis Schnelzer

 

 

Scheitern gehört zu unserem Beruf.«

Felix Nadolni, Senior Innovation Developer bei der Bundesdruckerei

Freigeister mit besonderen Begabungen

Schon vor 2024 existierten im Innovationen-Bereich Freiräume. Man arbeitete in Projekten und konnte dort auch inhaltliche Leitungsfunktionen übernehmen – überhaupt besteht das Personal größtenteils aus Freigeistern: Expertinnen und Experten mit besonderen Begabungen, durchaus meinungsstark. »Organisationswissenschaftler sind wir aber nicht«, sagt Jörg Fischer lächelnd. Nur musste allein wegen des schnellen Personalwachstums eine neue Struktur her. Er und Nadolni nahmen das Thema selbst in die Hand, den Weg dafür im Innovationen-Bereich zu bereiten: Beide studierten verschiedene bestehende Organisationsstrukturmodelle – und zogen das Forschungsteam des Fraunhofer IAO für eine wissenschaftliche Basis hinzu.

 

 

Das Fraunhofer IAO mit seiner Praxiserfahrung und dem Blick über den Tellerrand half uns, um nicht dort zu stolpern, wo andere schon einmal gestolpert waren.«

Jörg Fischer, Fellow Innovations bei der Bundesdruckerei
Jörg Fischer, Fellow Innovations bei der Bundesdruckerei, steht in einem blauen Hemd vor einem roten Vorhang in einem modernen Büro.
© Aristidis Schnelzer

Am Ende sagte ihnen das sogenannte Zellen-Modell am meisten zu: Mitarbeitende organisieren ihre Arbeit zunehmend selbst, schließen sich interessengeleitet zu verschiedenen Zellen zusammen und entscheiden selbst, wann sie die Arbeit der Zelle beenden, eine neue gründen oder sich einer bestehenden anschließen. »Das ermöglicht uns Flexibilität«, sagt Nadolni. »Wir müssen uns schnell zusammenfinden können – allein wegen der KI, deren Technikstand sich rapide ändert.« Gemeinsam mit dem Fraunhofer IAO gründete man 2023 eine Task Force. »Dass wir von Beginn an alle Mitarbeitenden einbezogen haben, war der Schlüssel zum Erfolg«, fasst Oczko-Kropp zusammen. Anfangs gab es auch Kritik. Beschäftigte, die die Abteilung und ihre Rolle darin bereits gut kannten, sahen in der Neuorganisation zunächst vielleicht wenig Sinn. Das Fraunhofer IAO führte unter anderem laufend Umfragen in der Belegschaft durch mit dem Ziel, die Innovationsfähigkeit zu messen. Das klingt abstrakt, wird aber rasch konkret: »Alle konnten an der neuen Struktur Hand anlegen«, sagt Oczko-Kropp. »Viele, die mit Skepsis auf die Entwicklungen blickten, wurden bald zu konstruktiven Wegbegleitern.«

© Aristidis Schnelzer Das Projektteam der Bundesdruckerei und des Fraunhofer IAO v. r. n. l.: Clemens Striebing, Jana Oczko-Kropp, Felix Nadolni, Maika Hahne-Wiley, Josephine Hofmann und Jörg Fischer. Eine wichtige Schnittstelle zwischen Wissenschaft und praktischer Umsetzung bildete Maika Hahne-Wiley (vierte von links), die das Innovations-Team als erfahrene Organisationsarchitektin und Coachin begleitete.

Das Arbeiten in Zellen

Doch wie sieht solch eine Arbeit in Zellen aus? Fünf Meter entfernt sitzen zwei Männer um die 30, Alexander Fischer und Josef Menter, nebeneinander an ihren Rechnern. Gerade überprüfen sie die Metriken von selbst hergestellten synthetischen Daten. »Wir schauen uns an, ob sie die gleiche Diversität abbilden wie deren Originaldaten«, sagt Alexander Fischer. Daten sind der Treibstoff der KI, durch sie lernt sie. Künstliche, computergenerierte Daten können der KI helfen, Zusammenhänge zu erkennen, indem sie die statistischen Eigenschaften und Muster echter Daten nachahmen, aber keine tatsächlichen Informationen aus realen Quellen enthalten – die können selten oder vertraulich sein.

»Wir haben vorher noch nie zusammengearbeitet«, sagt Menter. »Und dann erfuhren wir voneinander, dass wir beide einige Berührungspunkte mit synthetischen Daten haben«, fügt Alexander Fischer hinzu. Für eine gewisse Zeit werden die beiden Mitarbeiter in dieser Zelle gemeinsam weiterarbeiten, »wie lange, wissen wir nicht«, sagt Menter. »Das gibt uns die Freiheit, auch mal etwas abseits formaler Projektstrukturen niedrigschwelliger auszuprobieren.«

Genau dies ist gewollt. 70 Prozent der gesamten Arbeit wird mittlerweile in den Zellen abgewickelt. Den internen Kern dieses Systems bilden fünf zentrale Zellen mit Themenblöcken wie Coaching oder Strategie, welche als Dienstleister die Arbeit der rund 20 peripheren Zellen ermöglichen, wie ebenjene zu synthetischen Daten. Im Oktober 2024 hatte man die Zellstruktur für den Innovationen-Bereich aus der Taufe gehoben, nachdem sich alle Mitarbeitenden auf eine Charta verständigt und sie unterschrieben hatten. »Wir pflegen eine offene, ehrliche, direkte Kommunikation«, steht dort unter anderem, »sprechen Probleme respektvoll an und geben konstruktive Kritik.« Damit einher gehe Kontrollverlust, erläutert Jörg Fischer. »Aber das wird durch die generell gesteigerte Motivation wettgemacht. Jeder hat seine Stärken. Die werden gesucht und an der passenden Stelle eingesetzt.« Und hakt es nicht zuweilen mit der neuen Freiheit? Jörg Fischer lächelt. »Manche Dinge müssen zehnmal wiederholt werden, bevor sie funktionieren. Aber dieses Mehr an Kommunikation lohnt sich. Wir sehen ja die Früchte der freigesetzten Kräfte«; Jörg Fischer und Nadolni selbst arbeiten in zentralen, aber auch in peripheren Zellen.

Die Umfragen des Fraunhofer IAO ergeben bisher ein eindeutiges Bild: Mit dem neuen Modell wurde die Innovationsfähigkeit verbessert. »Einige von uns sind mutiger geworden«, sagt Nadolni, »sie sind im Wortsinn innovativer. Und genau das ist doch gewollt.«

In Lebensjahren gerechnet ist der Innovationen-Bereich im Teenageralter. Was sich durch die Transformationen der jüngsten Vergangenheit abzeichnet, ist eine Art Coming-of-Age-Story: Vieles ist noch im Werden, aber viele Mosaiksteine gemeinsamen Arbeitens finden nun ihren Platz. Jörg Fischer angelt sich am Ausgang einen Lebkuchen. Jeder Entscheidungsweg habe sich verkürzt, der Gemeinschaftsgeist sich verstärkt. »Das neue Zellenmodell füllen wir mit Leben.« Es sei doch so, fügt er hinzu: »Unser Job sind Innovationen. Und nun machen wir nicht nur technologische Innovationen, sondern auch organisatorische.«

Weitere Informationen

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Projekt

InnoOrgaEvolution

Wie kann man in einer großen Abteilung mit komplexen Abstimmungs- und Kommunikationsprozessen transparent, agil, hierarchiefrei und vor allem innovativ zusammenarbeiten? Mit den Beschäftigten der Bundesdruckerei werden im Projekt eine Soll-Kultur und eine passende Organisationsstruktur erarbeitet.

Forschungsbereich

»Center for Responsible Research and Innovation CeRRI«

Wir entwerfen Zukunftsszenarien und entwickeln passende Transformationsprozesse und Innovationsstrategien für unsere Kundinnen und Kunden. Unser Ziel ist es, gemeinsam mit unseren Kunden die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, auf der Grundlage aktuellen Wissens, partizipativ und kollaborativ zu gestalten.

Leistungsangebot

Unternehmensprozesse und Strukturen

Wir befähigen Ihr Unternehmen, auf Veränderungsdynamiken nicht nur zu reagieren, sondern den Wandel vorausschauend zu gestalten und spezifische Lösungen für Ihre Herausforderungen von morgen zu entwickeln.

 

Aus dem Magazin »FORWARD

Dieser Beitrag ist Teil des Magazins 2/25 des Fraunhofer IAO und des IAT der Universität Stuttgart.