Nachhaltige Produktgestaltung
Um den Klima- und Nachhaltigkeitszielen der EU gerecht zu werden, müssen Automobilhersteller ihre Produkte so gestalten, dass sie wiederverwendbar und ressourcenschonend sind. Forschende des Fraunhofer IAO und des IAT der Universität Stuttgart entwickelten im Projekt »Cyclometric« mit Partnern eine Software, die dabei hilft, schon in frühen Entwicklungsphasen die richtigen Weichen dafür zu stellen.
Eine Mittelkonsole ist vielleicht nicht das Herzstück eines Autos, aber doch ein zentraler Bestandteil des Innenraums. Zwischen Fahrer- und Beifahrersitz platziert, erfüllt sie mehrere Funktionen: Sie bietet Platz für Bedienelemente, Stauraum und Ablageflächen sowie Schnittstellen zum Laden mobiler Geräte. Sie ist sowohl ein Bindeglied im Fahrzeuginterieur als auch ein eigenständiges Element. Außerdem ist ihre Herstellung komplex genug, um an ihrem Beispiel zu zeigen, wie eine nachhaltige kreislauffähige Produktion im Automobilbau gelingen kann.
Genau deshalb wählten die Partner des Projekts »Cyclometric« dieses Bauteil als Demonstrator für ihren Ansatz, Kreislaufwirtschaft (siehe Kasten) im Fahrzeugbau von Anfang an mitzudenken. Auf der diesjährigen Hannover Messe konnten sich Besucherinnen und Besucher auf dem Stand des Fraunhofer IAO ein Bild davon machen – es wurde zum Publikumsmagneten.
Kreislaufwirtschaft
Im Rahmen des EU Green Deal hat die Europäische Kommission im März 2020 den zweiten EU-Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft verabschiedet. Dieser geht über Abfallwirtschaft hinaus und setzt bereits bei der Produktgestaltung an, sodass Erzeugnisse langlebiger und reparierfähig werden, Upgrades möglich sind und Rohstoffe recycelt werden können. Ziel ist es, den Verbrauch von Ressourcen zu minimieren und Märkte für sekundäre Rohstoffe sowie kreislauffähige Produkte zu entwickeln.
Das Thema »Kreislaufwirtschaft« beschäftigt viele Hersteller, nicht nur in der Automobilbranche. Im Zuge der strengeren Umweltauflagen des European Green Deal wächst der Druck auf Unternehmen, nachhaltiger zu wirtschaften. Heute reicht es nicht mehr, nur Preis, Funktionalität, Qualität und Optik im Blick zu haben. Immer mehr Kundinnen und Kunden legen auch Wert auf Umweltschutz. Um dies zu erreichen, müssen Materialien nach ihrer Verwendung wieder in den Produktionsprozess zurückgeführt werden – und das stellt vor allem die Automobilindustrie vor enorme Herausforderungen.
Fahrzeugbauteile bestehen meist aus verschiedenen Materialien, wie Metallen, Kunststoffen, Verbundwerkstoffen. Die Herstellung und Entsorgung dieser Stoffe verursachen oft erhebliche Umweltbelastungen. Unternehmen müssen bei ihrem Versuch, CO2-Emissionen zu reduzieren, Ressourcen zu schonen und Abfälle zu minimieren, aber nicht nur Materialien und Produktionsmethoden überdenken. Um ein Produkt im Sinne der Kreislaufwirtschaft zu entwickeln, muss bereits während der Designphase sein gesamter Lebenszyklus mitgedacht werden. Da geht es dann zum Beispiel um die Frage, wie lange ein Bauteil wohl hält. Und wie es beschaffen sein muss, um recycelt oder im besten Fall sogar repariert werden zu können.
»Das Thema ist alles andere als trivial«, sagt Franziska Braun, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer IAO im Team »Mobility Innovation«. »Es geht nicht nur darum, ein bestimmtes Material lediglich auszutauschen. Man muss die Zusammensetzung eines Bauteils betrachten, darüber nachdenken, wie es sich wieder auseinanderbauen lässt. Oder, wenn ein Produkt wiederverwertet werden soll, wie es zurückkommt.« Bei der Entwicklung eines Produkts, das sowohl wirtschaftliche und ökologische Anforderungen als auch die Bedürfnisse der Zielgruppe berücksichtigt, entstünden immer Zielkonflikte. »Diese gilt es bestmöglich zu lösen, was nicht immer einfach ist.«
Genau hier setzte das Forschungsprojekt »Cyclometric« an, das von Mai 2022 bis März 2025 lief. Forschende des Fraunhofer IAO sowie des IAT der Universität entwickelten gemeinsam mit Partnern aus Industrie und Wissenschaft die Software »CycloP«, die Unternehmen dabei unterstützt, effizient Entscheidungen zur kreislaufgerechten Gestaltung von Produkten zu treffen. Das Tool hilft Produktentwicklerinnen und Produktentwicklern, Bauteile mit Blick auf den gesamten Lebenszyklus zu gestalten, und gibt ihnen bereits während der Entwicklung Feedback zu Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit. Und ermöglicht ihnen zugleich, einzuschätzen, in welchem Verhältnis der Aufwand für eine nachhaltige Produktgestaltung zu ihrem tatsächlichen Mehrwert in puncto Nachhaltigkeit steht.
»Als Unternehmen stehen Sie zu Beginn einer Entwicklung Hunderten theoretischen Entscheidungen gegenüber«, sagt Oliver Schweizer, Geschäftsführer von Schweizer Design Consulting GmbH und einer der Partner. »Allein beim Materialeinsatz: Welches Material nehme ich? Woher kommt das? Wer hat es abgebaut und unter welchen Bedingungen? Wie viele verschiedene Materialien verwende ich?« Je komplexer die Produkte seien, desto mehr Fragen träten auf, die sorgfältig abgewogen werden müssten. Für einen Menschen sei es aber kaum möglich, das alles zu wissen und dann noch zu bewerten. »Mit der Software haben wir versucht, diese komplexen Themenfelder datenbasiert abzudecken. Unser Ziel war nicht, die perfekte Mittelkonsole in Bezug auf Nachhaltigkeit zu bauen, sondern zu zeigen, wie die Software hilft, diese Konflikte überhaupt zu erkennen, um Vor- und Nachteile der verschiedenen Optionen bewerten zu können.«
»Die Software gibt Empfehlungen«, ergänzt Braun. »Wenn ich zum Beispiel vorher ein Teil verklebt habe, könnte sie mir empfehlen, es zu verschrauben, weil es später leichter demontierbar ist. Dabei berücksichtigt sie aber immer auch wirtschaftliche und nutzerspezifische Ziele. Es geht darum, den bestmöglichen Kompromiss zu finden.«
Ein weiterer wichtiger Aspekt des Projekts war, neben der Software auch einen praktischen Ansatz zu entwickeln, um die Ergebnisse für die Industrie nutzbar zu machen. Hier kommt die Mittelkonsole für ein hypothetisches Elektroauto ins Spiel, die das Fraunhofer IAO zusammen mit Schweizer Design Consulting entwarf und prototypisch umsetzte – als anschauliches Beispiel für das methodische Vorgehen und um eine Diskussionsgrundlage zu haben. Die Wahl fiel auf dieses Bauteil, weil sich viele relevante Themen wie Materialwahl oder die Integration von Elektronik darin abbilden ließen und sich die Herstellungsverfahren nicht groß voneinander unterscheiden.
Das Ergebnis zeigt eindrucksvoll, welche Möglichkeiten entstehen, wenn man ein Produkt tatsächlich neu denkt, und zu welch innovativen Lösungen solche »Kompromisse« führen können. Ein interessantes Merkmal der Mittelkonsole ist das Material der Hauptschale. Es besteht aus einem Faserverbundstoff, das aus geharzten Flachsfasern hergestellt wurde. Flachs ist ein nachwachsender Rohstoff und gilt als umweltfreundlich. Gleichzeitig bietet es gute mechanische Eigenschaften: hohe Festigkeit und ein geringeres Gewicht als viele herkömmliche Materialien.
Zusätzlich wurden smarte Kontaktfasern ins Gewebe eingearbeitet, die erkennen können, wenn das Produkt nicht mehr vollständig intakt ist – etwa bei Rissen oder Brüchen. »Das haben wir eingebracht, weil viele Unternehmen oft einen höheren Materialaufwand betreiben, als nötig wäre, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein«, erklärt Schweizer. »Nehmen wir die ausladende Ablage vorne. Unter extremer Belastung könnte diese brechen. Die Frage ist aber: Wie wahrscheinlich ist das? Indem ich meine Lösung auf 99 Prozent der Fälle auslege, kann ich viel Material- und Konstruktionsaufwand einsparen. Mit der entsprechenden Sensorik verzichte ich trotzdem nicht auf Sicherheit.«
Ein weiteres verwendetes Material ist Apfelleder, das als nachhaltiger Ersatz für Leder oder Kunststoff dient und ebenfalls ein nachwachsender Rohstoff ist. Auch wurden smarte Textilien auf Basis von Leinen verbaut, um eine innovative Bedienung zu ermöglichen. »Wir haben bewusst auf Knöpfe, Tasten oder ein Touch-Display verzichtet und stattdessen einen sogenannten kapazitativen Sensor eingesetzt«, sagt Braun. Dieser reagiert auf Veränderungen der elektrischen Kapazität, um Berührungen oder Eingaben zu erkennen. »Er ist unter der Textiloberfläche versteckt und funktioniert wie ein Touchpad, nur ohne Kunststoff und aufwendige Elektronik. Außerdem wurden die einzelnen Materialschichten miteinander verklemmt und nicht verklebt. Dadurch bekommt man sie bei Verschleiß oder für ein mögliches ›Facelift‹ einfach, schnell und ohne Werkzeug wieder auseinander.«
Die Resonanz auf dieses Projekt war bislang sehr positiv. Der Bedarf an nachhaltigen Lösungen ist groß, das Interesse daran wächst. In Workshops zu diesem methodischen Vorgehen zeigte sich, dass dieses nicht nur für die Automobilindustrie relevant ist, sondern auch für andere Bereiche wie Consumer Electronics. »Im Grunde können alle produzierenden Gewerke von dieser Methode profitieren, da sie alle vor den gleichen Herausforderungen stehen«, sagt Schweizer. Die Beteiligten arbeiten nun daran, Folgeprojekte zu akquirieren, um ihre Erkenntnisse weiter zu erforschen und weiterzugeben.