»Daten sind die zentralen Treiber von Innovation«

Datenökonomie

Prof. Dr.-Ing. Anette Weisbecker steht und blickt in die Kamera.
© Martin Albermann
In den Unternehmen muss ein Bewusstsein für die Bedeutung von Daten wachsen. Das ist die Voraussetzung dafür, Daten gezielt zu nutzen und zu teilen. Qualität und Sicherheit der Daten spielen dabei eine zentrale Rolle, sagt Anette Weisbecker.

Sie gelten als »das neue Öl«: Daten werden zunehmend zum Treiber für Wirtschaft und Innovation. Im Interview erklärt Prof. Dr. Anette Weisbecker, stellvertretende Institutsleiterin am Fraunhofer IAO sowie am Institut für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement IAT der Universität Stuttgart, wie das Institut Unternehmen dabei unterstützt, ihren Datenschatz zu heben. Und welche Rolle KI, Quantencomputing und Datenökosysteme dabei spielen.

Frau Weisbecker, wir befinden uns auf dem Gelände von IBM in Ehningen. Hier entsteht unter Mitwirkung des Fraunhofer IAO ein Ökosystem rund um Quantencomputing. Dessen Nukleus ist sogar schon in Betrieb: der »System Quantum ONE«. Was ist das Besondere an diesem Computer, von dem uns hier nur zwei Glasscheiben trennen?

Der System Quantum ONE war 2021 der erste kommerziell nutzbare Quantencomputer in Europa und zugleich der erste Quantencomputer, der unter deutschem Recht agierte. Betrieben wird er von IBM, Fraunhofer hat jedoch exklusive Nutzungsrechte im Rahmen einer engen Kooperation. Das ist eine tolle Gelegenheit, Unternehmen Zugang zu der neuen Technologie zu ermöglichen.

Was bedeutet das konkret?

Forschende aus Wirtschaft und Wissenschaft stehen vor immer komplexeren Fragestellungen, die nur mit enormer Rechenleistung zu lösen sind. Das gilt zum Beispiel für die Entwicklung medizinischer Wirkstoffe, für Fragen des Risikomanagements im Finanzbereich, für Aufgaben in der Materialforschung oder in der Prozessoptimierung, etwa bei der Routenplanung von Lkw-Flotten. Früher brauchte man gewaltige Hardware-Kapazitäten und lange Rechenzeiten, um Probleme in diesen Bereichen zu lösen, weil »normale« Computer Rechenoperationen nur nacheinander ausführen können. Quantencomputer hingegen können zahlreiche Aufgaben parallel lösen, was eine enorme Beschleunigung der Rechenarbeit bedeutet.

Welche Projekte hat das Fraunhofer IAO hier schon gemeinsam mit Partnern durchgeführt?

Gemeinsam mit der Zeppelin GmbH entsteht ein Werkzeug, das dem Unternehmen hilft, die Preise für gebrauchte Maschinen entlang zahlreicher Parameter in wenigen Sekunden zu ermitteln. Ein weiteres Beispiel ist ein Projekt, das wir mit dem Maschinenbauunternehmen Trumpf umsetzen. Hier arbeiten wir gemeinsam an einer Technologie, die vermeiden soll, dass Fehler beim Zuschnitt von Blechen entstehen. Dafür braucht es KI-Algorithmen, deren Entwicklung wiederum der Quantencomputer beschleunigen kann. Aber um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Quantencomputing kommt längst nicht bei jedem Projekt zum Einsatz, oft reichen auch einfach die KI-Algorithmen. Gemeinsam mit einem Versicherungsunternehmen entwickeln wir zum Beispiel eine Künstliche Intelligenz, die Kfz-Schadensgutachten auswerten kann. In einem Projekt mit der Klingler GmbH ging es darum, Absatzprognosen für Dichtungen zu verbessern. Den Logistikdienstleister Zeitfracht haben wir dabei unterstützt, das Verhältnis von Lieferbereitschaft und Lagerbeständen zu optimieren.

 

 

Die Datenqualität ist ausschlaggebend. Geht es um ein einzelnes Unternehmen, so besteht die Aufgabe zunächst darin, die Datenbestände nutzbar zu machen.«

Prof. Dr.-Ing. Anette Weisbecker war von 2013 bis 2023 stellvertretende Institutsleiterin am Fraunhofer IAO.

Wie kommen solche Projekte eigentlich zustande?

Da gibt es unterschiedliche Wege. Unser »KI-Fortschrittszentrum« in Stuttgart ist zum Beispiel ein Ort, an dem Ideen geboren werden. Hier laden wir Unternehmerinnen und Unternehmer im Rahmen von ganz unterschiedlichen Formaten dazu ein, die Möglichkeiten von KI auszutesten. Am Anfang steht dabei stets die Überlegung, inwiefern das einzelne Unternehmen konkret von den neuen Technologien profitieren kann. Dann entwickeln unsere Mitarbeitenden gemeinsam mit dem Unternehmen – in manchen Fällen auch mit mehreren Unternehmen gemeinsam – digitale Tools, die den Alltag der Mitarbeitenden erleichtern und dem Unternehmen neue Wege in Richtung Digitalisierung aufzeigen. Ähnlich läuft es im »Kompetenzzentrum Quantencomputing Baden-Württemberg«, wo wir Schulungen anbieten und Unternehmen zusammenbringen. Da geht es in erster Linie um Know-how-Transfer. In der Innovationsoffensive QuantumBW arbeiten wir gemeinsam mit Wirtschaft, Wissenschaft und Politik daran, die quantentechnologischen Kompetenzen in Baden-Württemberg zu bündeln und die Potenziale dieser Technologie zu erschließen.

Welchen Hürden begegnen Unternehmen, die Daten für sich nutzbar machen wollen?

Die größte Herausforderung besteht für viele darin, Datensätze zur Verfügung zu stellen, mit denen man wirklich arbeiten kann. Sind die Daten fehlerhaft, lückenhaft oder aus anderen Gründen nicht aussagekräftig, dann ist selbst der schnellste Quantencomputer machtlos. Die Datenqualität ist absolut ausschlaggebend. Geht es um ein einzelnes Unternehmen, so besteht die Aufgabe also zunächst darin, die Datenbestände nutzbar zu machen. Komplizierter wird es, wenn verschiedene Akteure Informationen teilen wollen, um wechselseitig voneinander zu profitieren. Dann müssen zunächst Standards definiert werden, damit die Daten überhaupt geteilt und gemeinsam genutzt werden können. Hier kommen die Datenökosysteme ins Spiel ...

… die für Innovation so zentral sind, dass wir ihnen den Schwerpunkt dieser Ausgabe von FORWARD gewidmet haben. Warum sind diese Ökosysteme so bedeutsam?

Wir leben in einer hochgradig vernetzten Welt, das heißt, Produkte und Dienstleistungen werden in der Regel nicht mehr von einem Anbieter bereitgestellt, sondern sind in komplexe Produkt-Service-Systeme eingebunden. In einem solchen Umfeld sind Daten die zentralen Treiber von Innovation. Datenökosysteme tragen dieser Tatsache Rechnung, indem sie es unterschiedlichen Akteuren ermöglichen, wechselseitig auf bestimmte Daten zuzugreifen, um auf diese Weise Wissen auszutauschen und voneinander zu profitieren.

Der IBM Quantum System One in Ehningen ist der bisher leistungsstärkste Quantencomputer in Europa, an dem Industrie und Forschungsorganisationen jetzt unter deutschem Recht anwendungsbezogene Quantensoftware entwickeln, testen und ihre Kompetenzen ausbauen können.
© Martin Albermann
Der IBM Quantum System One in Ehningen ist der bisher leistungsstärkste Quantencomputer in Europa, an dem Industrie und Forschungsorganisationen jetzt unter deutschem Recht anwendungsbezogene Quantensoftware entwickeln, testen und ihre Kompetenzen ausbauen können.
Prof. Dr.-Ing. Anette Weisbecker sitzt auf einem Stuhl und spricht. Im Hintergrund ist der IBM-Quantencomputer zu sehen.
© Martin Albermann
Das Fraunhofer IAO erforscht die Grundlagen für den gezielten Einsatz von Quantencomputern in der Wirtschaft. Basis für die Forschungsarbeiten ist die von IBM zur Verfügung gestellte Hardware »Q System One« – sowie weitere Quantencomputer über die Cloud.

Haben Sie ein Beispiel für eine solche Kooperation verschiedener Akteure?

Die Städte können z. B. auf der Grundlage von Verkehrs- und Umweltdaten gezieltes Mobilitätsmanagement betreiben. Hier wird also geschaut, wie die Verkehrsströme fließen und welche Belastung sich daraus ergibt, um dann steuernd in den Verkehrsfluss einzugreifen und auch Entscheidungen für Stadtplanungsmaßnahmen abzuleiten. Ein solches Unterfangen ist kompliziert, weil Daten aus unterschiedlichen Quellen nutzbar gemacht werden müssen. Gerade Städte und Kommunen werden künftig aber mehr und mehr auf solche Datenökosysteme angewiesen sein, um gute und nachhaltige Entscheidungen für die Gesellschaft zu treffen. Deshalb hat das Fraunhofer IAO gemeinsam mit vier weiteren Fraunhofer-Instituten das »Daten-Kompetenzzentrum für Städte und Regionen« (DKSR) ausgegründet, das Städte und Kommunen bei der datengestützten Transformation begleitet.

Wie hoch ist die Bereitschaft seitens der Unternehmen, an solchen Ökosystemen teilzunehmen?

Die Bereitschaft ist da, weil die Vorteile auf der Hand liegen. Allerdings sind viele Unternehmen noch gar nicht in der Lage, Daten gezielt einzusetzen, um Innovation voranzutreiben. Hier muss zunächst ein Bewusstsein für die Bedeutung von Daten wachsen. Das ist die Voraussetzung dafür, als Unternehmen Daten zu nutzen oder gar zu teilen. Wichtig ist dabei natürlich, dass die Daten sicher sind. Deshalb will die EU einen Standard für europäische Datenräume schaffen, der Daten zuverlässig schützt und zugleich einfach zugänglich ist. Initiativen wie Gaia-X und die International Data Spaces Association, an denen Fraunhofer beteiligt ist, arbeiten an einer solchen Infrastruktur unter Wahrung der Datensouveränität.

Interview: Prof. Anette Weisbecker über Daten als Treiber für Innovationen

Sie gelten als »das neue Öl«: Daten werden zunehmend zum Treiber für Wirtschaft und Innovation. Im Interview erklärt Prof. Dr. Anette Weisbecker, stellvertretende Institutsleiterin am Fraunhofer IAO sowie am Institut für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement IAT der Universität Stuttgart, wie das Institut Unternehmen dabei unterstützt, ihren Datenschatz zu heben. Und welche Rolle KI, Quantencomputing und Datenökosysteme dabei spielen. Zentrale Aussagen sind in dem »Making-of«-Video zusammengefasst.

Weitere Informationen

Vita

 

 

 

 

 

Prof. Dr.-Ing. Anette Weisbecker war von 2013 bis 2023 stellvertretende Institutsleiterin am Fraunhofer IAO. Ihre Karriere am Fraunhofer IAO begann sie 1988 als wissenschaftliche Mitarbeiterin nach dem Studium der Informatik an der TU Darmstadt. Sie promovierte und habilitierte an der Universität Stuttgart. Seit 10 Jahren ist sie stellvertretende Institutsleiterin am IAT der Universität Stuttgart. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Software-Engineering und Mensch-Technik-Interaktion. Anette Weisbecker ist Autorin von mehr als 270 wissenschaftlichen und technischen Publikationen.

 

KI-Fortschrittszentrum »Lernende Systeme und Kognitive Robotik«

Das KI-Fortschrittszentrum unterstützt Firmen dabei, die wirtschaftlichen Chancen der Künstlichen Intelligenz und insbesondere des Maschinellen Lernens für sich zu nutzen. In anwendungsnahen Forschungsprojekten und in direkter Kooperation mit Industrieunternehmen arbeiten die Stuttgarter Fraunhofer-Institute IAO und IPA daran, Technologien aus der KI-Spitzenforschung in die breite Anwendung zu bringen. 

Kompetenzzentrum Quantencomputing Baden-Württemberg

Im Fokus steht die Entwicklung von quantenbasierten Algorithmen für wichtige Herausforderungen der deutschen Wirtschaft. Unter der Beteiligung von derzeit elf Fraunhofer-Instituten werden fachliche Expertisen in regionalen Kompetenzzentren gebündelt.

 

Daten-Kompetenz für Städte und Regionen

Sie wollen die Digitalisierung in Ihrer Kommune voranbringen – und dabei vom organisierten Austausch mit anderen profitieren. Die Urban Data Community bietet ein breites Angebot an Formaten zur Entwicklung und Umsetzung datenbasierter Lösungen.

Mit dem »Daten-Kompetenzzentrum für Städte und Regionen« (DKSR) wurde Anfang 2021 ein Projekt der Fraunhofer-Morgenstadt-Initiative ausgegründet.

 

QuantumBW

QuantumBW baut auf einem starken und erfolgreichen Netzwerk aus Wissenschaft und Wirtschaft auf, in denen die Partner bereits vielfältig und erfolgreich kooperieren. In QuantumBW bündelt das Land diese Kompetenzen und schafft eine übergreifende Dachmarke, die diese Netzwerke weiter stärkt und international sichtbarer macht. 

 

Beitrag im Magazin »FORWARD 1/23

Im Garten Ehningen

Mit den Quantum Gardens Ehningen entsteht ein innovativer Wohn-Tech-Campus, der zu einem europäischen Zentrum der Quantenforschung werden soll. 

 

Aus dem Magazin »FORWARD

Dieses Interview ist Teil des Magazins 2/23 des Fraunhofer IAO in Kooperation mit dem IAT der Universität Stuttgart.