Wegweiser für eine hybride Arbeitswelt

Wie werden wir in der Post-Corona-Zeit arbeiten? Kaum eine Frage treibt Unternehmen mehr um als diese. Dem Fraunhofer IAO gelang es mit einem innovativen Netzwerkprojekt in kurzer Zeit spannende Antworten zu finden.

Wenn Sie das hier lesen, ist es vollbracht: Sechs intensive Monate liegen hinter den Teilnehmenden des »Connected Work Innovation Hub«, eines Projekts, das es in dieser Form am Fraunhofer IAO noch nicht gegeben hat. Der Plan war, in einem Netzwerk gemeinsam herauszufinden, wie eine hybride Arbeitswelt in der Zeit nach der Krise aussehen könnte, und so viel kann man sagen: Das ist gelungen. Von Juli bis Dezember 2021 lief das ambitionierte Vorhaben und selbst erfahrene Mitarbeitende waren überrascht davon und stolz darauf, was sie in so kurzer Zeit gemeinsam mit den Partnern erreicht haben.

Die Idee dazu entstand Mitte 2021 bei einer Sitzung des Kuratoriums, dem »Aufsichtsrat« des Fraunhofer IAO, dem Vertreter*innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und öffentlichem Leben angehören. Forschende stellten ihre Konzepte für künftige Arbeiten vor, darunter die Initiative »Connected Work Innovation Hub«. Der Grundgedanke war, in einem Innovationsverbund Wissenschaft und gelebte Praxis zusammenzubringen, um sich den drängenden Fragen rund um das Thema Hybridität zu nähern. Denn das ist das eigentliche Problem: Alle wissen, dass sich die Arbeitswelt laufend verändert, rasanter und tiefgreifender als je zuvor. Aber es fehlt oft noch an gesichertem Wissen, Mitteln und Kapazitäten, um die nötigen Schritte einzuleiten, diesen Wandel zu gestalten.

Was bedeutet das überhaupt, hybride Arbeitswelt? Es bedeutet, dass es in Zukunft dynamische Mischformen bezüglich des Arbeitsorts geben wird. Ein Beispiel: Eine Gruppe von Mitarbeitenden verabredet sich zu einer virtuellen Konferenz. Einige Kolleg*innen sind tatsächlich vor Ort, andere schalten sich aus dem Homeoffice oder einem Co-Working-Space irgendwo auf der Welt zu. Ein Szenario, das in Zukunft Standard werden wird und besonderer Gestaltung bedarf. Denn alles deutet darauf hin, dass nach der Pandemie die hybride Arbeitswelt überall da verbreitet sein wird, wo die Tätigkeiten dies zulassen.

© Fraunhofer IAO | Foto: Ludmilla Parsyak
Ein Szenario, das in Zukunft Standard werden wird: hybrides Arbeiten. Das heißt, Gruppen und Teams arbeiten in dynamischen Mischformen bezüglich des Arbeitsortes zusammen.

Hybrides Arbeiten auf dem Prüfstand

2020 befragte das Fraunhofer IAO 236 Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Personalführung zum Thema hybrides Arbeiten. Die Erkenntnisse sind im Folgeergebnis »Leistung und Produktivität im New Normal« der Studienreihe »Arbeiten in der Corona-Pandemie« zusammengefasst. 71,2 Prozent der Befragten gaben an, nach der Corona-Pandemie mehr Homeoffice und mobiles Arbeiten anzubieten als vor der Krise. Ein Problem stelle das nicht dar: 51,3 Prozent der Befragten sieht die Produktivität der Mitarbeitenden im Homeoffice unverändert. 32,2 Prozent der Befragten gehen sogar noch weiter: In ihren Augen sind die Mitarbeitenden im Homeoffice gar etwas produktiver als im Büro. Doch wie fördert man diese Produktivität? Und was steht ihr möglicherweise im Weg? Oder, mit anderen Worten: Wie organisieren wir »Connected Work« am besten, damit alle profitieren: Die Mitarbeitenden, die Unternehmen – und am Ende die Gesellschaft?

Erste Antworten gibt die Studie »Homeoffice Experience«, die das Fraunhofer IAO 2020 im Rahmen des Verbundforschungsprojekts Office 21® veröffentlicht hat. Befragt wurden rund 2100 Mitarbeitende von privaten Unternehmen und öffentlichen Organisationen in Deutschland und im Ausland zu ihren Erfahrungen mit den neuen Formen des Arbeitens. Es zeigt sich: Bereits in dieser frühen Phase der pandemiebedingt flächendeckenden Einführung des Homeoffice war ein großer Teil der Befragten zufrieden: 44 Prozent der Befragten nahmen die eigene Produktivität im Homeoffice als ebenso hoch wahr wie im Büro. 39 Prozent empfanden sich selbst gar als produktiver im Homeoffice. Lediglich 18 Prozent gaben an, im Homeoffice weniger produktiv zu sein. Den Unterschied machen oft äußere Umstände. Arbeitet man in der Küche oder in einem separaten Raum? Sind parallel Kinder zu beaufsichtigen oder nicht? Ermöglicht die technische Ausstattung im Homeoffice die reibungslose Kommunikation mit den Kolleg*innen? »Unsere Studie gab schon früh erste Hinweise darauf, dass die hybride Arbeitswelt Vor- und Nachteile mit sich bringt«, sagt Dr. Stefan Rief, Leiter Forschungsbereich »Organisationsentwicklung und Arbeitsgestaltung« am Fraunhofer IAO. »In Zukunft gilt es, hier die jeweiligen Stärken von Büroarbeit und mobiler Arbeit optimal zu kombinieren.«

Doch flexible Modelle zu etablieren, die sowohl ortsgebundene als auch mobile Arbeit ermöglichen, ist eine große Herausforderung für Unternehmen aller Branchen, weil es viele neue Fragen nach sich zieht: Wie viele Büroquadratmeter werden künftig eigentlich noch benötigt? Und wie müssen diese gestaltet sein, um wahlweise Rückzug oder Zusammenarbeit zu ermöglichen? Können Arbeitnehmer*innen auch vom Ausland aus tätig sein? Wie können Meetings ablaufen, wenn einige Mitarbeiter*innen vor Ort sind und andere nicht? Wie müssen Besprechungsräume gestaltet und technisch ausgerüstet sein? Wie funktioniert Führung in diesen hybriden Arbeitsformen? Und was kann und muss wie in der Beziehung zwischen Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen geregelt werden?

In sechs Sprints zum Ziel

Hier setzte das Projekt »Connected Work Innovation Hub« an. Von Anfang an war die Idee, den wissenschaftlichen Kenntnisstand zusammenzutragen, einen offenen Erfahrungsaustausch unter den beteiligten Partnern zu organisieren und bereits erprobte Lösungsansätze einzelner Firmen allen zugänglich zu machen. Die wichtigsten Erkenntnisse sollten in mehrere Blueprints einfließen, die jeder Partner in sein Unternehmen tragen und an eigene Abläufe würde anpassen können. 24 namhafte Unternehmen und Organisationen erklärten sich kurzfristig bereit, mit einzusteigen, aber unter einer Bedingung: Es musste sehr schnell gehen.

»Normalerweise sind solche Verbünde auf mehrere Jahre angelegt, doch in diesem Fall war klar, dass es schneller gehen musste«, sagt Dr. Josephine Hofmann, Leiterin des Teams »Zusammenarbeit und Führung«. »Auch wir mussten umdenken.« Und so wählte das Team eine Vorgehensweise aus der agilen Softwareentwicklung: Es teilte das Projekt in Sprints auf. Das bedeutet, das Projektteam definierte zunächst sechs Themenfelder, darunter Führung, Innovationsfähigkeit, Mitarbeiterbindung und Leistungserfassung, und setzte sich einen festen Zeitrahmen von jeweils vier Wochen, in denen es sich jeweils einem Themenfeld intensiv widmen wollte.

Es war ein sportliches Unterfangen. Nicht nur wegen der vielen und oft wechselnden Teilnehmenden oder weil das Projekt ausschließlich virtuell abgewickelt wurde. Sondern vor allem wegen des Tempos. Die harte Taktung erforderte eine straffe Organisation und eine professionelle Moderation. Zudem zwang sie alle Teilnehmenden dazu, sich auf die wichtigsten Aspekte zu konzentrieren. »Wir können nicht alles beantworten, aber die klare Struktur hat dabei geholfen, Antworten zu formulieren und mutige Lösungen vorzuschlagen«, sagt Rief. »Das ist hochinteressant und ich glaube, dass wir aus diesem Projekt für neue Formen der Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft lernen werden.«

Im Rahmen von sechs (zum Teil parallel laufenden) Sprints wird der aktuelle Stand von Wissenschaft und Praxis zu den definierten Themen identifiziert, bewertet und verdichtet. Auf dieser Basis werden gemeinsam Lösungsideen und Handlungshinweise abgeleitet.

Innovationskraft gezielt fördern

Die Ergebnisse werden mit Spannung erwartet und in wenigen Wochen präsentiert. Einen kleinen Einblick gewährt Rief dennoch. Für ihn war der Sprint zur Innovationsfähigkeit inhaltlich einer der spannendsten. Eine Erkenntnis war zum Beispiel, dass das Homeoffice langfristig die Innovationsfähigkeit der Mitarbeitenden senken könnte – weil sich zuhause weniger Gelegenheiten für zufällige Begegnungen ergeben und die Menschen weniger Informationen aus ihrer Umwelt aufnehmen. Beides liefert aber wichtige Impulse für kreative und innovative Ideen. Daher wären Unternehmen gut beraten, diesen Mangel auszugleichen. »Denkbar wäre etwa, Zugänge zu Online-Veranstaltungen, Bildungsangeboten bereitzustellen, die inhaltlich unabhängig vom Job sind«, sagt Rief. »Das wäre eine Möglichkeit, die durch weniger Reisen und Pendeln ›gewonnene‹ Zeit zur berufl ichen Inspiration zu nutzen.« Ein Beispiel, das zeigt: Der Umzug ins Homeoffice ist nicht damit vollendet, dass man den Laptop künftig – statt im Büro – zuhause aufklappt. Im Grunde ist das erst der Anfang.