»Es ist an uns, die Zukunft mit KI zu gestalten«

Gelungene Zusammenarbeit

Dr. Matthias Peissner lehnt an einem brusthohen Regal mit der Aufschrift "KI-Studios" und blickt lächelnd in die Kamera. .
© Aristidis Schnelzer
Das Potenzial der Technologie liege nicht in der Automatisierung, sondern in der Zusammenarbeit zwischen Menschen und KI. Wenn KI den Menschen tatsächlich Arbeit abnehmen würde, könnten sich diese anderen, wichtigeren Aufgaben zuwenden, sagt Dr. Matthias Peissner, Forschungsbereichsleiter am Fraunhofer IAO.

Wie wird Künstliche Intelligenz die Arbeitswelt verändern? Und was müssen Unternehmen jetzt tun, um diese Zukunft mitzugestalten? Matthias Peissner, Institutsdirektor am Fraunhofer IAO, sieht in der Technologie eine große Chance für Wirtschaft und Gesellschaft. Und verrät, worauf es jetzt ankommt.

Herr Peissner, ein Team des Fraunhofer IAO tourt seit September 2023 mit dem KI-Infomobil durch Deutschland, um Unternehmen mit Künstlicher Intelligenz vertraut zu machen. Vor Ort ist einerseits Neugier zu spüren, andererseits aber auch die Angst, die Technologie könnte Jobs kosten. Können Sie die Sorgen der Menschen verstehen?

Wir haben es bei KI mit einer enorm mächtigen Technologie zu tun. Und ich glaube, wir haben noch gar nicht richtig verstanden, was KI in letzter Konsequenz für die Art und Weise, wie wir in Zukunft arbeiten, leben oder kommunizieren werden, bedeutet. Insofern kann ich es gut verstehen, dass Menschen sich Sorgen machen, auch um ihren Arbeitsplatz.

Was würden Sie tun, wenn jemand Ihnen seine Sorgen schildert?

Zunächst zuhören. Denn ich bin davon überzeugt, dass wir eine ehrliche Debatte darüber brauchen, wie sich Berufsfelder in Zukunft ändern könnten. Die Arbeitswelt wird sich verändern, Jobs werden wegfallen, andere werden entstehen. Man muss aber auch wissen, dass die Wirtschaft schon heute mit einem enormen Fachkräftemangel zu kämpfen hat. Und das Problem wird sich dramatisch verschärfen, wenn die Babyboomer in Rente gehen. Wenn KI an solcher Stelle helfen kann, den Fachkräftemangel auszugleichen, dann kann sie sogar dazu beitragen, Unternehmen zu stabilisieren. Deshalb greift es zu kurz, in KI nur eine Konkurrentin des Menschen um vorhandene Jobs zu sehen. Vielmehr sollten wir uns die Frage stellen, wie KI den Menschen im Arbeitsalltag unterstützen kann, wie sie helfen kann, neue Jobs zu schaffen.

Wie kann so eine Unterstützung aussehen?

Zunächst mal müssen wir anerkennen, was die KI besser kann als wir: große Datenmengen verarbeiten. Sie kann uns also helfen, komplexe Situationen präziser zu analysieren und besser zu verstehen. Sie kann uns eine solide Datenbasis für Entscheidungen liefern. Damit sie das kann, braucht sie aber saubere und valide Daten als Grundlage. An dieser Stelle kommt der Mensch erstmals ins Spiel, denn nur er kann dafür sorgen, dass die KI mit vernünftigen Daten trainiert wird, ohne die sie keine brauchbaren Ergebnisse liefert. Hinzu kommt, dass es nach wie vor der Mensch ist, der entscheidet, was er mit diesen Ergebnissen anfängt. Das lässt sich mit einem Navigationssystem vergleichen, das einem drei Routen zum Ziel vorschlägt: eine schnelle, eine mit schöner Aussicht und eine, die am Supermarkt vorbeiführt. Welchen Weg wir gehen, bleibt unsere Entscheidung. Die kann die KI uns nicht abnehmen. Insofern liegt das Potenzial dieser Technologie meiner Ansicht nach nicht in der Automatisierung, sondern in der Zusammenarbeit zwischen Mensch und KI. Wenn es uns gelingt, dass KI uns künftig Arbeit abnimmt, kann das zu einer enormen Wertschöpfung führen – und Freiräume schaffen, in denen Menschen sich Aufgaben zuwenden können, die ihre genuin menschlichen Fähigkeiten erfordern. In diesem Fall würde die KI gewissermaßen dazu beitragen, dass wir »menschliche Superpower« freisetzen.

Können Sie uns Beispiele für eine solche gelungene Zusammenarbeit nennen?

Ein oft genanntes Beispiel ist der Einsatz von KI in der Pflege. Wenn die KI die Ausgabe von Medikamenten regelt oder die Dokumentation übernimmt, können die Pflegekräfte sich vermehrt um ihre eigentlichen Aufgaben kümmern, nämlich die Arbeit mit den Patientinnen und Patienten. Beliebte Anwendungsfelder sind auch Absatzprognosen oder Fragen der Arbeitsorganisation oder der Prozessoptimierung. Wenn man sie mit den richtigen Daten trainiert, können KI-Systeme produzierenden Unternehmen ziemlich treffsicher vorhersagen, welche Stückzahlen hergestellt werden müssen, wie man Personal möglichst effizient einsetzt oder wann welches Maschinenteil gewartet oder ersetzt werden muss. In der Qualitätssicherung kommen zunehmend Systeme mit KI-basierter Bilderkennung zum Einsatz. Und wir stehen erst am Anfang dieser Entwicklung. In Zukunft werden sich die Fähigkeiten von KI-Systemen noch deutlich verbessern – etwa im Bereich der emotionalen Intelligenz. Im vergangenen Jahr gab es eine Studie, in der man die Antworten von ChatGPT in einem medizinischen Forum mit den Antworten von Ärztinnen und Ärzten verglichen hat. Interessanterweise war die KI nicht nur in puncto Qualität, sondern auch in puncto Empathie überlegen. Natürlich bedeutet das nicht, dass wir uns künftig von KI behandeln lassen sollten. In so einem Forum können medizinische Fragen ja nur oberflächlich behandelt werden. Diagnose und Therapie erfordern natürlich, dass auch ein menschliches Verständnis für die Gesamtsituation von Patientinnen und Patienten entwickelt wird. Die Frage, die sich aber stellt, ist: Warum sollte er sich dabei künftig nicht von KI helfen lassen? Warum sollte er nicht von den Erkenntnissen tausender von Studien profitieren, die eine KI in Sekunden analysieren kann? Das meine ich mit der Zusammenarbeit von Mensch und KI.

 

 

Nur, wenn es gelingt, die Innovationskraft der Mitarbeitenden von Anfang an in diesem Prozess mit hineinzunehmen, wird diese Transformation optimal funktionieren.«

Dr. Matthias Peissner Institutsdirektor und Leiter des Forschungsbereich »Mensch-Technik-Interaktion«

Was sollten Unternehmen heute tun, um KI für sich nutzbar zu machen?

In einem ersten Schritt ist es enorm wichtig, Mitarbeitenden Berührungsängste zu nehmen und sie zu ermutigen, sich aktiv an der Entwicklung von KI-Anwendungen zu beteiligen. Das Thema ist viel zu wichtig, um es nur den Führungsetagen zu überlassen. Nur, wenn es gelingt, die Innovationskraft der Mitarbeitenden von Anfang an in diesem Prozess mit hineinzunehmen, wird diese Transformation optimal funktionieren. Das fängt ja mit der Gestaltung der Schnittstellen zwischen Mensch und KI an. Wichtig ist auch, dass die Menschen hier eine Form von Transparenz und Kontrollierbarkeit der Technologie erleben, damit sie verstehen, wie die KI arbeitet, dass sie eben keine Wundermaschine ist, sondern ein lernendes System, das durchaus Fehler machen kann. Deshalb wollen wir mit dem KI-Fortschrittzentrum die Menschen fit machen für eine Zukunft, in der KI eine wichtige Rolle spielen wird – in vielen Lebensbereichen. Wir haben in Stuttgart und München je ein KI-Studio als Anlaufstelle für die Öffentlichkeit eröffnet. Und wir sind in diesem Jahr regelmäßig mit dem KI-Infomobil in Deutschland unterwegs. Das Ziel dieser breit angelegten Kampagne ist es, das Wissen um Möglichkeiten und Grenzen von KI in die Bevölkerung zu tragen. Denn nur, wenn die Menschen zumindest grob verstehen, wie KI funktioniert, können sie ihren Einsatz mitgestalten. Deshalb brauchen wir jetzt Qualifizierung, Bildungsangebote, aber auch eine gewisse Veränderungsbereitschaft und ein Klima des Vertrauens in den Unternehmen.

Dr. Matthias Peissner ist frontal an einem Tisch sitzend zu sehen. Er ist im Gespräch mit seinem Gegenüber, den man leicht im Anschnitt von hinten sieht.
© Aristidis Schnelzer
Dr. Matthias Peissner beim Interview im KI-Studio Stuttgart.

Wie gewinnt man Vertrauen angesichts der vielen vorhandenen Vorbehalte?

Zum einen, indem man ein Verständnis der Technologie auf allen Ebenen etabliert. Damit meine ich nicht, dass jeder verstehen muss, wie neuronale Netze genau arbeiten, sondern ein Verständnis für die Möglichkeiten und Grenzen der Technologie. Das ist schon allein deshalb wichtig, weil wir sonst eine gesellschaftliche Spaltung erleben werden zwischen Menschen, die souverän mit KI umgehen, und denen, die das nicht können. Es gibt so einen Satz, der es gut auf den Punkt bringt: Nicht die KI wird dir den Job wegnehmen, sondern ein Mensch, der die KI effizient nutzt. Darüber hinaus ist es natürlich wichtig, dass wir die Technik einhegen und Missbrauch möglichst vorbeugen. Wir als Gesellschaft müssen dafür Sorge tragen, dass die Technik entlang unserer Werte entwickelt wird, dass etwa der Schutz von Grund- und Persönlichkeitsrechten gewahrt wird. Oder, dass Inhalte, die von KI generiert wurden, kenntlich gemacht werden müssen, damit wir etwa Deep Fakes als solche erkennen können. Es ist an uns, die Zukunft mit KI zu gestalten.

Behind the Scenes: Dr. Matthias Peissner während seines Interviews im KI-Studio Stuttgart

Im Video fasst er die drei zentralen Tipps für Unternehmen zusammen, was sie bei der Einführung von KI-Anwendungen beachten sollten.

Weitere Informationen

Dr. Matthias Peissner

ist Institutsdirektor und leitet den Forschungsbereich »Mensch-Technik-Interaktion« am Fraunhofer IAO. Seine interdisziplinären Teams arbeiten an Lösungen, die ein effizientes Zusammenspiel von Mensch und intelligenter Technik ermöglichen. Schwerpunkte seiner Arbeit sind anpassungsfähige Systeme, zukünftige Arbeitsumgebungen und die Gestaltung positiver Nutzungserlebnisse. Er koordiniert das KI-Fortschrittszentrum »Lernende Systeme und Kognitive Robotik«, das Teil des international renommierten Cyber Valley in Stuttgart und Tübingen ist. Als Experte für die menschengerechte Gestaltung der Zukunftsarbeit mit KI engagiert er sich in der »Plattform Lernende Systeme« und der »Global Partnership on AI«.

 

KI-Fortschrittszentrum »Lernende Systeme und Kognitive Robotik«

Das KI-Fortschrittszentrum unterstützt Firmen dabei, die wirtschaftlichen Chancen der Künstlichen Intelligenz und insbesondere des Maschinellen Lernens für sich zu nutzen. In anwendungsnahen Forschungsprojekten und in direkter Kooperation mit Industrieunternehmen arbeiten die Stuttgarter Fraunhofer-Institute IAO und IPA daran, Technologien aus der KI-Spitzenforschung in die breite Anwendung zu bringen. 

 

KI-Studios

Ziel des Projekts »KI-Studios« ist es, Beschäftigte und deren Interessenvertretungen für die Mitgestaltung von betrieblichen Anwendungen der Künstlichen Intelligenz (KI) zu befähigen. Alle Infos zum KI-Infomobil, den Demonstratoren sowie den stationären KI-Studios gibt es auf der Projektwebseite.

 

Aus dem Magazin »FORWARD

Dieses Interview ist Teil des Magazins 1/24 des Fraunhofer IAO in Kooperation mit dem IAT der Universität Stuttgart.