Was ist das, urbane Zukunftsfähigkeit?
Was sind die Hebel, eine Stadt in einer sich gesellschaftlich und technologisch rapide ändernden Welt attraktiv zu halten? Was bedeutet Attraktivität für die aktuellen Bewohner, Hinzuziehende oder ansässige Unternehmen? Wie sieht der Nährboden für wirtschaftliches und kulturelles Wachstum und Lebensqualität aus? Ein deutschlandweites Ranking der Fraunhofer-Gesellschaft hat diese Fragen in einer Studie zusammengefasst und in vier Hauptkategorien auf den Punkt gebracht.
An diesen Fragen arbeiten die Forscherinnen und Forscher der Morgenstadt-Initiative am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO seit einigen Jahren intensiv. Mit der Erfahrung aus der detaillierten Untersuchung zahlreicher deutscher und internationaler Metropolen haben sie ein Instrumentarium entwickelt, mit dem man anhand von 28 öffentlich zugänglichen Indikatoren ein ganzheitliches Bild der Zukunftsfähigkeit einer Stadt zeichnen kann – als erste Grundlage für vertiefte Analysen vor Ort. Die Indikatoren decken die vier »Säulen« ab, auf die sich die Stadt von morgen stützen muss: Lebensqualität, Resilienz, Umweltgerechtigkeit und Innovationsfähigkeit. Die Indikatoren reichen von den städtischen Grün- und Wasserflächen über die Existenz von Plänen zur Klimaanpassung und dem CO2-Ausstoß bis zum Anteil hochqualifizierter Jobs am städtischen Arbeitsmarkt. Eine Überblicksdarstellung dieses Morgenstadt City Index (M:CI) bietet die Info-Broschüre »Morgenstadt City Index«. Sie verdeutlicht auch den Nutzen des Morgenstadt-Netzwerks aus Kommunen, Unternehmen und Wissenschaftlern. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Fraunhofer IAO haben den Morgenstadt City-Index anhand der 30 deutschen »Schwarmstädte« durchgespielt – also jene Kommunen, die zum Magneten insbesondere für Studierende und junge Berufstätige geworden sind und dies auch in den kommenden Jahren sein werden.
Die Zukunftsfähigkeit, also die Aussichten auf Wohlstand und Wachstum, äußern sich in den folgenden Kategorien:
- Lebenswerte Stadt
Diese bietet ihren Bürgerinnen und Bürgern Arbeitsplätze, einen Ausgleich zwischen Arm und Reich, Sicherheit, einen attraktiven öffentlichen Raum, der zu Begegnungen einlädt, und eine gute Umweltqualität. Es geht also um die sogenannten »weichen Standortfaktoren« sowie soziale Aspekte. Sie sind auch deshalb wichtig, weil Unternehmen sich auf der Suche nach hochqualifizierten Arbeitnehmenden gezielt in attraktiven, lebenswerten Städten ansiedeln.
- Resiliente Stadt
Diese Kategorie trifft Aussagen über die Stressresistenz einer Stadt, also die Fähigkeit, Bedrohungen, Wirtschaftsflauten und Krisen zu kompensieren. Für die Zukunftsfähigkeit ist diese Kategorie insofern von Bedeutung, als dass der Erhalt einer attraktiven wirtschaftlichen und soziokulturellen Infrastruktur gesichert sein muss. Hier spielen unter anderem die Schuldendienstquote, der Anteil der drei größten Arbeitgeber an der Gesamtbeschäftigung und Notfallpläne für verschiedenartige Naturkatastrophen eine Rolle.
- Umweltgerechte Stadt
Der Umfang von und Umgang mit Ressourcen liefern für die Zukunftsfähigkeit wichtige Kennzahlen. Umweltgerechtigkeit wirkt sich nicht nur auf das (zukünftige) Stadtklima und die Nachhaltigkeit von Lebensraum aus, sondern auch auf die Attraktivität für Unternehmen und Bewohner. In dieser Kategorie werden beispeilsweise der Ausstoß von Treibhausgasen in Tonnen pro Kopf, das Müllaufkommen in Kilo pro Kopf und Jahr oder auch der Wasserverbrauch in Litern pro Kopf und Tag erfasst.
- Innovative Stadt
Die vierte Kategorie fasst diejenigen Indikatoren zusammen, die sich auf (potenzielle) Erfindungen beziehen, denn im Rahmen von zukunftsfähiger urbaner Kommunikation und neuen Geschäftsmodellen haben Innovationen eine entscheidende Bedeutung. Diese Kategorie prüft unter anderem, wie zielgerichtet Kommunen mit den Themen Digitalisierungsstrategie, Datenmanagement, und Förderung von Innovationstreibern umgehen. So werden beispielsweise die Differenz von Firmengründungen und Geschäftsaufgaben, der Anteil hochqualifizierter Stellen am Arbeitsmarkt, das Vorhandensein einer Smart-City- oder Innovationsstrategie oder auch der Anteil der Studenten in Prozent an der Gesamtbevölkerung einbezogen.
Sämtliche Daten der Indikatoren sind öffentlich zugänglich und wurden innerhalb des City Index verschieden gewichtet.
Ein Fazit: Technologie ist kein Allheilmittel
Eine Botschaft für die Befürworter einer rein technisch getriebenen Entwicklungsstrategie für die Stadt steht bereits fest: Digitalisierung ist nicht grundsätzlich immer der Schlüssel zur Zukunft und vor allem kein Selbstzweck. Auf der anderen Seite zeigt der Morgenstadt-Index aber auch, dass Zukunftsfähigkeit und Innovationen miteinander verschränkt sind. Alanus von Radecki, Projektleiter der Morgenstadt-Initiative beim Fraunhofer IAO, freut sich, dass nicht nur die großen deutschen Städte mit einer vorhandenen digitalen Agenda teilgenommen haben: »Zukunftsfähigkeit ist nicht das Privileg der Metropolen, das haben kleinere Teilnehmerstädte wie die Alte Hansestadt Lemgo gezeigt. Der Morgenstadt City-Index liefert Stadtplanern und Kommunen, die ihre digitale Agenda aufsetzen oder ihre Stadt strategisch weiterentwickeln wollen, äußerst hilfreiche Anknüpfungspunkte.« Städten, die an der Studie teilgenommen haben, rät er: »Nach dem ersten Zustandsbericht anhand des Morgenstadt City-Index ist eine vertiefte, individuelle Analyse der Stadt mit ihren einzigartigen Faktoren und sozialen, ökonomischen, politischen, technologischen und räumlichen bzw. städtebaulichen Besonderheiten notwendig.«
Nützlich für eine nachhaltige Stadtentwicklung
Eine weitere Botschaft der Studie: Das absolute Ranking ist für viele teilnehmende Kommunen eher zweitrangig. Stattdessen kann das Abbild des IST-Zustands Unterstützung für Stadtväter und -planer, Stadtentwickler und Unternehmen sein. Die Auswahl und Bündelung der ausgewählten Indikatoren bietet die Möglichkeit, sich ein Bild der aktuellen Situation zu machen und Hinweise auf die Verbesserungspotentiale geben. Innerhalb des Strategieprozesses einer Stadt liefert die Studie eine Antwort auf die Frage »Wo stehen wir?«. Das Fraunhofer IOSB-INA ist selbst Mitglied der Morgenstadt-Initiative und hat die Teilnahme der Alten Hansestadt Lemgo am Morgenstadt City-Index begleitet. Initiator des IoT-Reallabors »Lemgo Digital« und Leiter des Fraunhofer IOSB-INA, Prof. Dr.-Ing. Jürgen Jasperneite, ist vom Nutzen überzeugt: »Auf der Grundlage des Morgenstadt City-Index werden die individuellen Stärken und Schwächen einer Kommune sichtbar und vergleichbar. Von diesem Punkt aus kann jede Kommune ihre eigene Stadtentwicklung unter Berücksichtigung digitaler Handlungsoptionen betreiben.«