Mit dem Green Deal verfolgt die Europäische Union das Ziel, bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent zu werden. Die breite Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien wird der Schlüssel zum Erfolg sein, vor allem im weniger sonnenreichen Nordwesten Europas wird die Windenergie eine wichtige Rolle spielen. Allerdings geht der Ausbau der Windkraftindustrie mit einem hohen Verbrauch an Energie und Baumaterial einher, das aus endlichen natürlichen Ressourcen besteht. Für diese Übergangsphase sind die beiden Ziele Dekarbonisierung und Kreislaufwirtschaft des Green Deals noch nicht vollständig aufeinander abgestimmt. Die Herausforderung besteht demnach darin, Windenergie als vollständig zirkuläres Geschäft zu begreifen – von der Konstruktion über die verlängerte Produktionsdauer bis hin zur endgültigen Rückgewinnung der Rohstoffe. In dem gemeinsamen Whitepaper stellt das internationale Beratungsunternehmen Horváth in Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO eine Lösung auf Basis des »10R-Framework« vor. Das Whitepaper liefert Herstellern einen Ansatz und Empfehlungen auf hoher Ebene, um alle relevanten Hebel zur Steigerung der Kreislaufwirtschaft im Lebenszyklus von Windturbinen und der Windkraftindustrie im Allgemeinen zu identifizieren.
Materialwirtschaft muss mit der Energiewende gehen
Für den Bau einer typischen 5-Megawatt-Windturbine an Land werden bis zu 600 Tonnen Stahl und große Mengen an Nichteisenmetallen Metallen, seltenen Erden, Verbundwerkstoffen und Beton benötigt. Die Rotorblätter sind Stand heute nur schwer recyclebar. Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien bis 2030 wird mit einem Wachstum der Windenergieproduktion von etwa 50 Prozent gerechnet. »Deshalb brauchen wir schon heute Konzepte und einen klaren Plan zur Wiederverwendung des freigesetzten Materials, um zusätzlichen Abfall und den unnötigen Verbrauch natürlicher Ressourcen zu verhindern«, sagt Joachim Lentes, Leiter des Teams Digital Engineering am Fraunhofer IAO. »Die gesamte Materialwirtschaft muss mit der Energiewende gehen«.
Dafür eignet sich das »10R-Framework« von Potting et al. (2017), um konkrete Maßnahmen zur Steigerung der Kreislaufwirtschaft in den Geschäftsmodellen der Windkraftindustrie zu identifizieren. Michael Hertwig aus dem Team Digital Engineering am Fraunhofer IAO erklärt das Prinzip dahinter: »Vereinfacht gesagt wird jedes Bauteil basierend auf einer Materialflussanalyse einzeln betrachtet: Kann ich es für einen anderen Zweck weiterverwenden? Wenn nicht, gehe ich eine Ebene weiter: Kann ich eine Einzelkomponente daraus weiternutzten? Wenn nicht, kann ich Material davon weiterverwerten?«
Die daraus resultierenden Strategien lassen sich gemäß des 10R-Frameworks in 10 Kategorien einteilen (siehe Abbildung):
- R1 bis R3: weniger Energie- und Materialverbrauch durch Produktdesign
- R4 bis R8: Verlängerung der Nutzungsdauer von Erzeugnissen oder Komponenten eines Produkts
- R9 bis R10: am Ende des Lebenszyklus (EoL), um den Wert der Produktmaterialien und den Energiegehalt wiederzugewinnen